Für Comics gilt dasselbe wie für den Begriff Kinderliteratur. Jeder hat eine ziemliche klare Vorstellung, was darunter zu verstehen ist, der Versuch einer allgemein gültigen Definition stößt aber bald auf Schwierigkeiten. Ebenso finden sich in Darstellungen der Comicgeschichte, von denen inzwischen zahlreiche veröffentlicht wurden, recht unterschiedliche Auffassungen darüber, wo die Wurzeln der Comics liegen und welche Vorläufer diese Literaturform hatte.
Beginnen wir dem Offensichtlichen: Comics sind eine Aneinanderreihung von Bildern, die in chronologischer Abfolge eine Handlung erzählen. Mit einem neueren Begriff werden Comics daher als 'Sequenzielle Kunst' (Sequenz = Aufeinanderfolge von etwas Gleichartigem) bezeichnet. Diese Definition verleitet manche Autoren dazu, die Wurzeln der Comics weit in der Vergangenheit zu suchen. Oft zitierte Beispiele in diesem Zusammenhang sind die Trajanssäule in Rom, welche in kunstvollen Bildreliefs über die Eroberungskriege dieses Herrschers berichtet, oder die reliefartige Darstellung biblischer Szenen an mittelalterlichen Kirchen, mit denen Menschen, die des Lesens nicht mächtig waren, religiöse Inhalte vermittelt wurden (Ein hervorragendes Beispiel für die 'Biblia Pauperum' findet sich an der Kirche in Schöngraben in Niederösterreich). Mit Comics hat das natürlich nichts zu tun. Alles was wir in diesem Zusammenhang feststellen können, ist die ohnehin evidente Tatsache, dass Bilder geeignet sind, Informationen über Geschehnisse zu vermitteln und - was für unser Thema weit wichtiger ist - dass bloße Bilder oder auch Bildfolgen allein und ohne Zusatzinformationen nicht in der Lage sind komplexe Handlungsabläufe zu transportieren. Denn der unbefangene Betrachter der Trajanssäule oder der 'Biblia Pauperum' wird ohne Zusatzinformationen nur einen vagen und undifferentierten Eindruck von der Botschaft gewinnen, die ihm übermittelt werden soll. Auch Comics als Bilderzählungen bedürfen daher des geschriebenen Wortes als Ergänzung. Diese Ergänzung kann in kurzen Texteinschüben oder zur Darstellung von Dialogen - manchmal auch Monologen oder Gedanken - in Sprechblasen bestehen. Diesselbe Problemstellung finden wir im Übrigen auch bei den Stummfilmen. Trotz hoch entwickelter Bildsprache war es doch immer wieder notwendig mit Texteinblendungen zu arbeiten um den Handlungszusammenhang zu verdeutlichen. Nun gibt es natürliche auch Bildgeschichten ohne Text. Diese 'Geschichten ohne Wort', wie man sie bereits in frühen Bildbögen, Witzblättern und satirischen Zeitschriften, die im 19. Jhdt aufkamen, findet, sollten als eigenständige Form der Bildgeschichten gesehen und nicht zu den Comics gezählt werden, weil sie in ihrem erzählerischen Potential Einschränkungen unterworfen sind, die für Comics, die sich des Wortes als Zusatzinformation bedienen können, nicht gelten.
Andererseits muß der Anteil an textlicher Information so knapp wie möglich gehalten werden, um eine Bildgeschichte noch als Comic bezeichnen zu können. Hier kann man folgende Regel aufstellen, die allerdings nicht allzu kleinlich eingefordert werden darf: In einem Comic müssen sich Bild und Text soweit ergänzen, dass zwar das Bild das tragende Erzählelement ist, aber weder das Bild noch der Text für sich allein ausreichen, die Geschichte zu erzählen.
Was ich damit meine soll nebenstehendes Beispiel illustrieren: In nur zwei Bildern wird eine Geschichte erzählt: Der kleine übellaunige König fordert von seinem etwas zerstreut wirkenden Hofzauberer, er möge seine (des Königs) Feinde in Frösche verwandeln. Der Zauberer kommt dieser Aufforderung nach "PFROSCH" und sitzt plötzlich als verlegen blickender Frosch vor dem König, was dieser keineswegs überrascht mit den Worten kommentiert: 'Das habe ich mir gedacht!' Weder die Bilder, noch die Texte allein können diese Geschichte transportieren. Erst ihr Zusammenwirkenwirken läßt die Handlung deutlich werden und führt zur Pointe. |
Akzeptiert man dieses Abgrenzungsmerkmal löst sich auch die bisweilen erörterte Frage ob man Bildgeschichten, wie sie Willhelm Busch zeichnete, zu den Comics oder zumindest zu Vorformen der Comics rechnen kann. Die Antwort lautet: In den meisten Fällen wohl nicht; es handelt sich dabei um durchaus qualitätsvolle aber eigenständige Formen der Bildgeschichten, die mit Comics nichts zu tun haben. Denn die gereimten Texte erzählen die Geschichte vollständig und ohne wesentlichen Informationsverlust. Die reichlich vorhandenen, lustigen Illustrationen erhöhen zwar das Leseververgnügnen, sind aber im Ergebnis nichts anderes als eben nur Illustrationen zu einem Text und nicht tragendes Erzählelement.
Gleiches gilt für die Bildgeschichten, wie sie sich häufig in Kinderzeitungen finden und oft zu Unrecht zu den frühen Comics gerechnet werden. Denn die symetrisch angeordneten Bilder werden durch relativ umfängliche Textblöcke ergänzt, welche oft in Versform die Geschichte völlig eigenständig erzählen und dem jeweiligen Bild die Rolle einer bloßen Illustration zuweisen. Wie sehr diese Tradition der illustrativen Bildgeschichte im deutschen Sprachraum verwurzelt war, zeigt sich bei den ersten Übernahmen amerikanischer (echter) Comics in den 30er Jahren des 20. Jhdts. Obwohl die Bilder mit ihren Sprechblasen, so wie es sich für ein Comic gehört, die Geschichte vollständig erzählten, wurden im deutschen Sprachraum in der Tradition deutscher Bildgeschichten Versblöcke unter die Bilder gesetzt, die dieselbe Geschichte nochmals erzählten und erkennen lassen, wie wenig man mit dem neuen Literaturformat Comic anzufangen wusste.
Eine Sonderstellung nimmt Hal Foster's "Prinz Eisenherz" (Prince Valiant) aus den 30er Jahren ein. Obwohl diese berühmte Serie durch meisterhafte, opulente Zeichnungen besticht, sind die Texteinschübe (Foster verzichtete auf Sprechblasen) so umfangreich, dass sie über weite Passagen die Geschichte eigenständig erzählen und den Bildern die Rolle von Illustrationen zuweisen. Trotzdem wird diese Serie nach allgemeiner Konvention zu den Meisterstücken der Comic - Kunst gerechnet. Es verwundert aber nicht, dass im deutschen Sprachraum Prosaausgaben erschienen, die aus den zusammengefassten und bearbeiteten Textpassagen bestanden und lediglich mit ausgewählten Bildern der Originalserie illustriert waren (z.B.: Badischer Verlag ab 1951 u.a.). Diese Eigentümlichkeit des "Prinz Eisenherz" im Grenzbereich zwischen Comic und illustrativer Bildgeschichte führte neben dem vertrauten Szenarium einer sagenhaften Rittergeschichte zu einer besseren Aktzeptanz im deutschen Sprachraum als es bei anderen Comics der Fall war. Im Österreich der 50er erschien "Prinz Eisenherz" eine zeiltlang durchaus erfolgreich als ganzseitiger Abdruck in einer grossen Zeitung und auch die Kinderpost, die in ihren Anfängen Comics grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, fand nichts dabei, "Prinz Eisenherz" abzudrucken.
Während über die Ursprünge und Wurzeln der Comics unterschiedliche Auffassungen herschen, besteht weitgehend Einigkeit darüber, ab wann von Comics als eigenständige Literaturform gesprochen werden kann. Kurz vor der Wende zum 20. Jhdt entstanden in Amerika Comics, die den oben angeführten Abgrenzungskriterien zu anderen Formen der Bildgeschichten bereits weitgehend entsprachen und die sich als eigenständige Erzählform etablierten. Als Meilensteine werden in diesem Zusammenhang üblicherweise die Serien "Yellow Kid" und "Katzenjammer Kids" genannt. Im Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg erreichte die Comic - Kunst in Amerika mit "Little Nemo" von Winsor McCay einen ersten ästhetischen und in seiner Art nie mehr übertroffenen Höhepunkt. Die Traumsequenzen, in welche die Erzählung gegliedert wurde, waren zeichnerisch vom Jugendstil inspiriert und erinnern in der präzisen Darstellung phantastischer Szenerien an den Phantastischen Realismus späterer Jahrzehnte. Spätestens ab "Little Nemo" war klar, dass manche Comics eigenständige Kunstwerke sein können.
Im deutschen Sprachraum war man von so einer Erkenntnis noch meilenweit entfernt. Abgesehen von unbedeutenden Randerscheinungen gab es keine deutschsprachigen Comics und mit Comicimporten wusste man nichts rechtes anzufangen. Man verharrte in der vertrauten Tradition der illustrativen Bildgeschichten, in denen es dem vom Bild lediglich illustrierten Text oblag, die Geschichte zu erzählen. Diese Situation dauerte bis zum Ende der 40er Jahre an.
Beispiele dafür, die sich in weit verbreiteten Kinderzeitungen der frühen Nachkriegszeit finden, sind "Maxls Abenteuer" aus der UZ oder "Willibald der Zauberlehrling" aus der Wunderwelt
Anfang der 50er Jahre war es aber dann soweit. Aus Deutschland kommend hielten 'echte' Comics in hohen Auflagen Einzug in die Österreichische Medienlandschaft, gerieten sofort ins Visier der Jugendschützer und Befürworter des 'guten' Buches und wurden in den schon Jahre andauernden "Kampf gegen Schmutz und Schund" verwickelt.